22.11.25, 11:24
Geposted von Kerstin Seidel
Geposted von Kerstin Seidel
Genetisch
Ich bin das Fehlende in all seinen Gestalten,
jeden Morgen beim Waschen
blickt mir über die Schulter meine große Schwester,
sie steht wie traurige Weiden auf Füßen,
die sich recken als sei die Zeit ein zerbrechliches Glasgefäß
und undurchsichtig auch das, was durch sie hindurch fließt,
Tränen oder Tee in narbigen Tassen serviert auf trockener Erde,
auf der steht die Steinhülse, die ich bin,
ich betrete fremde Worte und rufe in den Raum,
wo es wimmelt von Klang, von inneren Stimmen, die mich aussprechen, die mir den Mundschutz vom Gesicht reißen,
wo wir hörbar werden und meine Schwester spricht,
wenn ich schlafe, warnt sie mich vor Alpträumen, die wir teilen
wie das Verlebte, die Kinder, die sich in die Schulter der Mutter krallen und weinen als hätten sie eine Beziehung zum Leben,
als könnten sie eine Grenze sein zu etwas,
das längst überschritten ist, diese unaussprechliche Lücke,
dieses fehlende Gefühl ist genetisch
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