Wortgeburt 
31.7.21, 18:47
Geposted von Kerstin Seidel

WORTGEBURT



Die Geburt des Wortes ist
ein Schrei in Wehen mitten
aus der Hölle gefahren
nach einer Wette auf Gott
verloren, verletzt, verbrannt
in Buchform auf Scheiterhaufen

Die Geburt des Wortes ist
ein Gebet, das sich selbst verbrennt
und neu erfindet, aufersteht
in Schönheit ohne Scham

Die Geburt des Wortes ist
eine Ahnung, die Flammen schlägt,
ein Kleid aus glitzernden Ideen
oder eine echt glatte Rasur

Die Geburt des Wortes ist
ein Weg aus der Einsamkeit

Die Geburt des Wortes ist
eine Warnung vor Wiederholung,
vor dem Onanieren ohne Erektion

Die Geburt des Wortes ist
eine Eruption der Gedanken,
Taten folgen

Die Geburt des Wortes ist
endlos, erlösend, irre, ergreifend,
wild und mild und schlaff,
zerrüttet, kaputt und
ans Licht gezerrt
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Muttersprache  
25.7.21, 11:16
Geposted von Kerstin Seidel

Muttersprache



beginnt mit meiner ersten Spucke
zersetzt staubige Märchen, Bibel-
Geschichten, die Opa leise liest
im Sessel im Kerzenschein die
gedruckten Buchstaben gesetzt
mit echten Lettern aus Blei was
Bleibendes diese Macht der Worte,
die ich hörte und später las ich
und erkannte das Lächerliche im
Großen und Ganzen und die
Schönheit im Schaufenster von
Tante Ginas Schreibwaren,
meinem Lieblingsladen mit Schul-
und Zeichenbedarf der Geruch
nach Büchern und Druckerschwärze,
hier begann Heimat und ging
die Oppauer Chaussee hinauf
und später wollte ich die Worte
durch mich selbst erfinden,
sollte mich Sprache ersetzen,
das musste misslingen,
ich blieb unausgesprochen, leer,
totenstill, das blanke Entsetzen
als ich das Hochdeutsche erlernen
musste als wäre das meine zweite
Muttersprache verschwand der Geruch
soweit meine Geschichte
mehr nicht
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Vorwärtsgang  
6.7.21, 20:47
Geposted von Kerstin Seidel

VORWÄRTSGANG



Nichts, nur das Morgen ist sicher,
nach jedem gleichst du mir mehr,
tritt aus dem Bild, denn wir sind echt,
ich mit dem brennenden Herzen
unter eisigen Sternen und du
Aug in Aug mit der Sehnsucht,
dich zu befreien aus dem bläulichen
Schimmel der Zeit, von dem
angeborenen Rost und du schläfst
unter dem Treibsand der Jahre,
Hand in Hand mit der Geduld und
der Freude auf mehr, auch wohnt,
was niemand ahnt, hinter
der Leinwand deiner Wange zur Miete,
ein zärtlicher Biss in zartes Gewebe
aus guten Gedanken,
lichtschnelle Wendepunkte
so fällst du nach oben, denn
der Himmel ist geräumig,
für solche, die vorwärts gehen
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Das Haus flog fort 
27.6.21, 09:39
Geposted von Kerstin Seidel

Das Haus flog fort



ein Schwarm schwatzender Elstern
zerpickte die Tür zu Splittern
zerbrachen die Wände verbrannten
wie Zigarettenpapier
sie antwortete mit Schweigen
in blickdichte Fenster
splitterte Stille, Wände zeigten
ihre rissige Schönheit
war jeden Tag anders,
in den Händen der Menschen
lag der Schlüssel zum Korridor,
ein Labyrinth beweglicher Worte,
niemand fand den Weg hinaus
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Abschied  
22.6.21, 20:46
Geposted von Kerstin Seidel

ABSCHIED



Was konnte nur die Tür dafür,
dass es ihr fehlte an Gespür,
nun stand sie starr und stierte,
weil sich die Tür nicht rührte,
egal, mit welcher Wucht
in jedem Tritt,
mit welchem Schrei
bei jedem Schnitt,
das Holz blieb hart
und ungebeugt,
sie hat es oft und oft bereut,
sie stand davor und er dahinter,
sie liebte ihn, er sie nicht minder,
noch viel gab es zu sagen,
was ungesagt, dann blieb,
er antwortete ihr nie,
egal, was sie ihm schrieb,
er blieb ihr fern und sie ihm nah,
sind Türen nicht
zum Schließen da?
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Fest 
20.6.21, 11:45
Geposted von Kerstin Seidel

Dieses Fest hinterließ Spuren!



Es hörte auf, für einige Stunden
regnete es keine Erde und wir
kauften Brot und Wein
und feierten dieses Fest
unter dem Flieder
des duftetenden Morgens
blühten Worte, lies mir vor
Bruder, mit blassblauen Lippen
lies und spiel uns Schwester
heil mit der Welt, wir wollten nie
und haben doch immer
Wünsche wie Federn gelassen
und lernen auswendig, was
wir vergessen wollten,
es wurde Abend und die Blätter
auf dem Rasen waren
wie Fußspuren an Kreuzungen

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Besichtigung des KZ- Neuengamme 
19.6.21, 09:58
Geposted von Kerstin Seidel

Besichtigung des KZ- Neuengamme
an einem Sonntag



Der sonnige Morgen
bringt die fernen Wiesensäume zu uns,
golden und grün

Der Deichrand
trägt Tau und glitzernde Kristalle
stieben steinwärts

Die Mauern
glühen in gleißendem Licht,
ihre Frucht ist Stille

Vergessen steht
eine Dornenkrone,
der nackte Zaun aus Blut
und Rosen
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Mutmaßlich  
13.6.21, 13:45
Geposted von Kerstin Seidel

Mutmaßlich



Das Maß an Mut ist außen warm
und innen wärmer, es gleicht nur
sich selbst,
es hellt die Mitte und es hellt
den Rand, es bleibt oftmals
unerkannt.

Es liegt in den Fäusten, es lauert
in den Fingern, das Maß an Mut
öffnet Augen und öffnet sie
auch wieder, es singt meist
Heldenlieder.

Das Maß an Mut atmet auch
in eisiger Luft und besteht
aus Fluchtpunkt und Beiläufigkeit,
aus zwei teilen Wahnsinn
und drei teilen Nacht,
es hat schon Manchen
umgebracht

beim Spielen mit Messern
auf Wiesen am Hang,
das Maß an Mut hält an,
hält an !
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Liebe  
7.6.21, 10:03
Geposted von Kerstin Seidel
Für Kurt

Liebe



Ich möchte Dir ein Wort heut
schenken,
es kam und lag mir auf der Seele,
du weißt doch, dass ich auf dich zähle,
so lang wir uns kennen und uns
denken

Vom Rand waren es nur zwei,
drei Schritte bis zur Mitte,
bis zu Dir, mein Liebes,
dabei blieb es,
ich will lieber hier sein,
als nach dem Fernen hetzen, bitte

Versuche nie nur Blut zu sein,
bleib Melodie,
wenn du nichts mehr erhältst von Fremden,
nimm alles dir, aus meinen warmen Händen,
ich bleib, ich bin, ich zweifle nie

Ich bin zu lange aus der Zeit geblieben,
Tage lagen mir tierisch auf dem Gemüt,
du wusstest immer, was uns Schönes blüht,
solang wir uns schützen und uns lieben
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Stille 
5.6.21, 08:55
Geposted von Kerstin Seidel

STILL



Die Sonne scheint wirklich
auch da, wo ich stehe und
die Nacht geht,
wenn ich will kommt sie
zurück mit dem ersten Stern
unter dem Arm,
die Stunden sind unbesetzt,
nimm Platz da, da, da –
Einsamkeit in den Farben
der Nackheit der Dinge,
jetzt erklimmt die Sonne die Hügel,
sie wird zu den Feldern
wieder hinabsteigen,
zu den Tümpeln, zum Gras,
jeder Tümpel ein Tor
durch das der Himmel
das Stoppelfeld aufsucht,
blessierte Bäume, wunde Wege,
der verletzte Verstand,
ich bin mit dem Hier verschworen,
einverstanden mit der Stille
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