Lauschen  
14.12.22, 09:37
Geposted von Kerstin Seidel

LAUSCHEN



Computer werfen Online-Netze
bilden Meinung, auch mit Hetze
füttern unseren Verstand
mit Sand

Das Fernsehen kreischt uns an:
das musst du haben, schau was es kann,
genug kann niemals reichen,
setz ein Zeichen

Konserven- Klänge, Info-Flut,
Livegeplänkel, getunte Wut,
das echte Leben in bunten Bildern
nur viel, viel milder

Als ginge es nicht mehr ohne Sie,
glotzen wir, das Medienvieh,
das weiß so viel,
versteht es nie

Der Wind flüstert mir- vom
Meeresrauschen, blauen Riff,
von Badenden, vom stolzen Schiff,
Ich will nur lauschen
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Krieg 
3.12.22, 20:49
Geposted von Kerstin Seidel

KRIEG



Wenn sich die Gierigen
mit den Geistlosen verbinden
zieht das Hirn den Stecker
und vernetzt sich drahtlos
mit dem Lautsprecher der Leere
lärmt jetzt brutal in verschiedenen Leuten
donnern Parolen bis zur Verblödung
wie ein weißes Rauschen auf der Netzhaut
ziept Zornesröte im Osten
irgendwo hält ein Volk den Hals hin,
Mitläufer heulen den Mond an,
ballen den Blick zur Faust,
im Krieg herrscht die Taubheit im Takt
der Stiefel tritt die Geschichte
ihre Spuren in den Dreck, Kopf hoch
am Ende kriegt keiner was
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Sprachlos  
3.12.22, 10:13
Geposted von Kerstin Seidel

SPRACHLOS



von den Wänden weggesprengt,
die Menetekel der Missionare,

Zuversicht zieht wieder auf,
eifrig renkt das Land sich ein

Mut, lass uns das noch einmal
übersetzen in ein anderes Leben,

Lektionen rückwärts aufsagen
gegen das Vergessen führen wir Listen

Namen, es gibt eine Begründung für alles,
die ich nicht kenne nur Gott

wohnt im Beichtstuhl und vergibt
die Sprache schont das Hirn

Worte fallen wie faulende Früchte,
formlose Fragen nach Sinn

macht Frisches aus den Köpfen,
aber Kinder spielen unbeachtet im Sand
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Leere 
3.12.22, 09:26
Geposted von Kerstin Seidel

LEERE



Sie musterte die Menschen
bis das Lächeln aus ihren Lippen kroch,
alles war knapp, eine Leere aus Lärm
wurzelnd in einer Welt aus Luft,
dort lebten all ihre Kinder,
gingen auf vertrockneten Wegen
zur Quelle der Angst, die sich ausbreitete
im Zweifel zwischen den Steinen
saß eine zerbrechliche Alte
und hütete ihr Herz,
der dramatisch dunkelnde Himmel
hatte gerötete Augen aus Samt
und flehte nach Farben,
aber schwarzes Schweigen
erhob sich und umarmte
eine Wüste aus Worten
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Automatisch  
13.11.22, 18:26
Geposted von Kerstin Seidel

AUTOMATISCH



Wir haben abgestimmt
dass man uns mit Schatten bewirft
im Glashaus sitzen wir sicher,
draußen beobachten uns
die verstreuten Häuser huschen
auf der Flucht die Türen vernagelt
die Fragen in schwarz auf weiß stehen fest,
bis zur Polizeikontrolle halten wir dicht,
in die Nacht aus Granit bricht die Straßenlampe,
Dämmerung stakst über die Brücke
wie ein einbeiniger Engel
und der Wind jagt seine Stille bis ins Haus
am Ende der Straße: Da flackert
das Licht, das sind wir:
An!
Aus!
An!
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Tatsächlich  
12.11.22, 09:00
Geposted von Kerstin Seidel

TATSÄCHLICH



Hinter geschlossenen Lidern
tanzen mich Lichter in den Tiefschlaf,
Tatsachenträume, es gibt Sie,
in meinem Kopf
führten Gott und Teufel ein Gespräch,
die Stimme des Einen
glich dem Hinabsausen
des Beils auf den Boden,
die Stimme des Andern
dem Rieseln einer handvoll Erde
in den Brunnenschacht
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HERRSCHAFT  
12.11.22, 08:33
Geposted von Kerstin Seidel

HERRSCHAFT



Es herrscht der Formularfetischist,
kopflose Anträge für zerbettelte Gesuche nach Sinn
gebeugt über geduldiges Papier
mit gekrümmten Rücken ewig gestriger Genugtuung,
die über Paragrafen getrocknete Seele ersetzt das Denken,
erstickt den Atem mit verstaubtem Verstand,
über den Schreibtischen gerahmte Obrigkeiten,
immer noch gut gebohnerte Flure
sorgen für reibungslose Ablehnung,
leicht zu reinigender Bodenbelag,
falls ein Menschenleib
seine ganze Verzweiflung ausspuckt
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Reduziert  
22.10.22, 08:20
Geposted von Kerstin Seidel

REDUZIERT



Mit dem Sehen vergeht das Hören
bis uns nichts mehr etwas sagt,
als ob Worte zum Sprechen gemacht wären,
reden wir uns um Kopf und Kragen,
verleugnen den Sinn mit
Superlativen, Giganten in Grau,
Mischform des Mittelmäßigen statt
Kreismittig bevölkern wir die Peripherie
mit Perfektion, drehen Worte zu neuen Hülsen,
kauen an wirbellosen Werten, kunstvoll
konstruieren wir Satzbauten und
verstecken uns hinter Sarkasmus,
aber die Sehnsucht sticht überall
in‘s Auge, atmen wollen, sich spüren
im Satz das Subjekt sein, echte Welt
zentriert auf das Wesentliche,
am Grunde des Kreises
ist das Pi nur eine Zahl
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Blickkontakt  
19.10.22, 18:46
Geposted von Kerstin Seidel

Blickkontakt



Es gibt Brot an diesem Tisch,
um diesen Tisch sitzen Freunde,
sie sprechen in der Farbensprache,
singen sinnliche Lieder,
die Angst nutzen sie als Trampolin,
fliegen statt gehen, im Garten
entzündet der Mond seine Mandelaugen,
ihr Augenschein ist Ohrenschein -
klingen Herztöne,
Nacht für Nacht hören sie das Lied
der alten Meister und ihrer vielen Melodien
weben Wellenmuster unter Wunden
und Ihre Hände sind voll und sind farbig
und sind frivol tanzende Schatten
tagtrunkener Träumer,
halten ihren Schmerz für zu klein,
kläglichen Kram, fast blind,
verrieben die Scham,
das Staubtuch trocken und leer,
über dem Tisch tickt
die alte Küchenuhr eine neue Zeit
in die Runde starrt die Dunkelheit
und sucht Blickkontakt

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Blau 
16.10.22, 15:04
Geposted von Kerstin Seidel

BLAU



Ahnungsloses geblümtes Gras abgekaute Halme,
diese Habgier
bis zum Horizont trägt die Erde ihre
Narben unter der Haut,
aber Baumbestände am Deichrand,
wertvolle Buche, Holz schwimmt
immer oben bleibende Wärme,
abbaubarer Rohstoff für Ruhezeit
das Bild fällt aus dem Rahmen
liegen wir plötzlich gehäutet,
rindenloses Rückgrat,
papierdünne Randerscheinungen, wir,
blaue Bruchteile im Weiß der Wolken
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