Bitte nicht! 
11.2.22, 18:01
Geposted von Kerstin Seidel

Bitte nicht!



Denken Sie jetzt nicht
an wolkenloses Wetter
oder an Spatzen,
die von Dächern singen,

Denken Sie jetzt nicht
an spielende Kinder
oder an Damen,
die auf Schaukeln schwingen.

Denken Sie jetzt nicht,
an fröstelnde Pfoten
oder an Bären,
die im Dunkeln tappen.

Denken Sie jetzt nicht
an magere Mädchen
oder an Hunde,
die sich Knochen schnappen,

Denken Sie jetzt
an ein schönes Gedicht,
aber bitte nicht an dieses,
Bitte nicht!
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Mein Land  
5.2.22, 11:48
Geposted von Kerstin Seidel

MEIN LAND



Besetzt die Haut mit frostigen Beulen
blau die Lippen gefrorene Grüße
an vergangene Glaubenssätze,
Kommandantin meines Lebens,
die ich meinte zu sein,
nun habe ich das an zwei Zeiten
grenzende Land besetzt
mit verletzten Mauern,
aus denen der Mut bröckelt,
zu Eis erstarrt -
Frostige Falle,
aus dem Fenster zur Freiheit
blicken leere Kinderaugen,
Erinnerung an bessere Tage,
heute das Spielen in nackten Parks,
promenieren auf menschenleeren Plätzen,
Warten auf was,
zitternd in der Kälte deines Lächelns
gefrorene Tränen behutsam
werde ich auf dir gehen,
werde ich zu dir kommen
zurück auf offenen Straßen
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TOTES 
4.2.22, 13:33
Geposted von Kerstin Seidel

TOTES



Wasserhauchendes Wintermärchen
hier sonnenbeblümte Sätze:
Neugeboren stolperten Lichtstrahlen
landeinwärts, Hüter der Stunde ebenso

Soeben hinter dem Waldfriedhof:
die Totengräber

Polsterten ungeborene Maiblumenrosen
ihre totenwachenwirr
herauswachsende Seidenraupen
weben Gruftgewänder
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Panik 
29.1.22, 20:52
Geposted von Kerstin Seidel

PANIK



Wir stechen Pixel in Pupillen
polarisieren Nachrichten die Netzhaut
löst sich ab mit Anpassung
präparieren wir uns
für die Entkernung vom Fleisch
in den Ohren die Formularsprache
blockt Tatsachen im Raum
verdunstet Vernunft zu homogener Hirnmasse,
sie produziert wirbellose Worttiere,
die wie Menschen sprechen:
die Erkenntnis, "Es werde Licht",
dahinter hochfrequente
Hampelmänner fassen die Zukunft
in Zahlen sprengt die Statistik
den Rahmen und vom Himmel
fallen die Schafe, sie blöken bloß
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Zeitnah  
29.1.22, 08:19
Geposted von Kerstin Seidel

ZEITNAH



Die Entfernung zwischen ich
und ich wächst schon
beim Frühstück der Blick
aus dem Fenster
jetzt ins Ungewisse gehen
hinaus und hinweg
doch vom Wünschen
bleibt nichts übrig als der Wunsch
um jeden Preis Händchen zu halten,
und erhalten zu bleiben
in der Zeit,
in der wir sind
wird mit Gestern getauft,
wird mit Morgen geimpft
bis das Gewissen immun ist
gegen das Jetzt
habe ich Angst
vor unserer Zeit
am Ende wird man sie
doch benennen
nach einer Krankheit
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Kreaturen  
23.1.22, 22:34
Geposted von Kerstin Seidel

KREATUREN



Ich bin ein Schalentier
und weiß was nötig wäre mit
einer Zange,
einer Schere zertrümmert mir
das Hirn, denn Hier
sind letzte unbeschwerte Tage,

Wir hören Coltrane
und warten lange,
dass uns die Ratten
Zeichen geben und sie uns
wieder überleben,
unser Rückzug voll im Gange,

Abschiedskonzert ohne Instrument,
die Wirkung zeigt sich
im gesamten Arm,
er lahmt und will sich nicht beugen,

Wie das Licht, das Kranke
von Gesunden trennt,
die Hoffnunsträger im
Insektenschwarm,
kann ein Virus wirklich
neue Menschen zeugen?
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Heile Welt 
22.1.22, 08:46
Geposted von Kerstin Seidel

HEILE WELT



Gestaute Blicke eruptieren
ins Leere fallen deine Worte
den Zähnen zum Opfer bevor
sich die Lage zuspitzt
halten wir die Hände segnend
über gesplitterte Steine
rollen sich unter das Land -
am Sonntag bringst du mir
Brötchen ans Bett
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Du Stehaufmännchen  
20.1.22, 05:49
Geposted von Kerstin Seidel

Du Stehaufmännchen



stehst im Dunkeln,
im fahlen Licht müde Marionette,
du hampelst, zappelst kleine Äuglein
funkeln, du körperlose Silhouette

Ein Zufall, Menschen, die im Dunkeln
munkeln, ob sie zu denken und zu
reden hätten?
Nicht fragen, nicht klagen, weiter
schunkeln! Habt Spaß und
dreht muntre Pirouetten!

Da verhallt ungehört die Hupe,
die Welt stürzt sich von der Klippe,
es stand ihr Schicksal eh
schon immer auf der Kippe!
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Du gießt dich 
19.1.22, 06:36
Geposted von Kerstin Seidel

Du gießt dich



in die fremde Form fügt sich
Flaches längst lebt das Licht
anderswo mit Aussicht auf
einen sonnigen Tag sorglos
steigt dort der Morgen hier
über den Zaun führen Zeilen
ins Haus vorhersehbare Sätze
wiederholen abgetretene Floskeln
und die glücklichen Fotos
schweigen von der Wand bröckelt
der Putz verbrauchte Luft
atmet Stille in deine Hände,
die nichts mehr halten können
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RIS(S)KANT 
30.12.21, 09:15
Geposted von Kerstin Seidel

RIS(S)KANT



Eine Welt entzwei gerissen
in Gut und Böse unterteilt,
Angst schürt Hass beißt
das Gewissen ist ein Impfstoff,
der nicht heilt

Führer suchen Argumente
gegen Mitleid fast immun,
Freunde werden uns nun
Fremde, schnelles Handeln,
blindes Tun

Abstand halten ist das Motto
zwischen Haus und Haus,
spielen wir Gesundheitslotto,
als ob Grenzen schützen,
Grenzen grenzen doch nur aus

Wie bleiben wir als Menschen
menschlich? Bestimmt die Panik
unser Sein? Das Leben ist so zart,
so endlich und keiner stirbt
für sich allein

Wir Alle sind in Allem, das lebt,
uns hier umgibt,
unzertrennlich ist der Mensch, der liebt!
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